Süßwarenindustrie: Wo die Weihnachtszeit schon im August beginnt

2022-09-11 05:28:38 By : Mr. Kevin L

Die Süßwarenhersteller in Berlin und Brandenburg denken schon jetzt an Weihnachten. Trotz der heißen Temperaturen produzieren sie rund um die Uhr. Ein Besuch bei der Firma Edelmond.

Der Weg nach Weihnachten führt über eine staubige Straße, vorbei an vertrockneten Maisfeldern und wüstengelben Äckern bis ins südbrandenburgische Luckau. Dort öffnet Thomas Michel das Tor zu seiner Schokoladenfabrik. Ein schwerer Schokoladengeruch hängt in der schwülheißen Augustluft. Der Chocolatier trägt eine braune Konditoren-Schürze auf dem der Name seiner Firma zu lesen ist: Edelmond.

143 Millionen Schoko-Weihnachtsmänner wurden nach Angaben des Bundesverbands der Süßwarenindustrie im Jahr 2017 in Deutschland produziert. Höchste Zeit also auch für die Süßwarenhersteller rund um Berlin mit der Weihnachtsproduktion zu beginnen. „Gestern haben wir zwei Dutzend Schoko-Weihnachtsmännern hergestellt“, sagt Michel. Das ist also nur ein kleiner – allerdings sehr feiner – Teil aller Schokoläuse, die ab Herbst in den Regalen stehen. „Wir betreiben Schokoladenhandwerk wie vor hundert Jahren“, erklärt der Inhaber die Philosophie hinter dem Familienunternehmen Edelmond.

Michel ließ Maschinen nach alten Bauplänen anfertigen und durchstöberte staubige Antiquariate bis er Rezepturen aus dem 19. Jahrhundert fand. Bei Edelmond wird alles selbstgemacht. „Bean-to-bar“ nennt sich das Prinzip, also „von der Bohne bis zur fertigen Tafel“.

Neben den Nikoläusen werden in Berlin und Brandenburg auch andere Weihnachtsprodukte hergestellt: Bei Bahlsen in Tempelhof laufen schon seit Mai Spekulatius, Lebkuchen und Zimtsterne vom Band. Auch bei Moll-Marzipan in Neukölln ist Hochsaison. Die Maschinen laufen in diesen Wochen rund um die Uhr, sagt Geschäftsführer Armin Seitz. Moll-Mitarbeiter stellen Rohmasse her, die zu Dominosteinen, Lebkuchen und Stollen weiterverarbeitet werden – als einer der größten Produzenten weltweit.

Auch der Süßwarenspezialist Storck produziert als einer der bundesweit Branchengrößten in Berlin. 1.200 Mitarbeiter sind in Reinickendorf damit beschäftigt, einige der Bestseller in den Supermarktregalen zu fertigen: Storck produziert unter anderem Süßwaren der Marken Merci, Werther's Original oder Toffifee. Von den rund 50.000 Beschäftigten in der deutschen Süßwarenindustrie sind immerhin 3,8 Prozent in Berlin und 1,5 Prozent in Brandenburg angestellt.

Wie konkurrieren kleine Familienbetriebe wie Edelmond gegen Konzerne wie Storck? Thomas Michel erklärt es am liebsten, in dem er macht, was er am besten kann: Schokolade. „Uns ist aufgefallen, dass industrielle Schokolade immer gleich schmeckt“, sagt er und kippt dabei einen Sack in eine Maschine, die die Kakaobohnen ruckelnd von kleinen Ästen und Hülsen trennt. Dabei sei gute Schokolade wie Wein: nuanciert und immer unterschiedlich. „Edelmond ist zu 100 Prozent Bio“, sagt Michel. Auf der Suche nach geeigneten Kakaobauern sei er mit seiner Ehefrau Ludmila lange durch die Dominikanische Republik gereist. Das Milchpulver, dass Edelmond verwende, komme 40 Kilometer entfernt von der Gläsernen Molkerei Münchehofe.

Thomas Michel pickt sich eine Kakaobohne aus der Sortiermaschine und überprüft den Geschmack. Noch ist der säuerlich. Das ändert sich beim Rösten. Er lässt die nun sortierten, geschälten und zerkleinerten Bohnen in eine Röstmaschine rieseln. „Allerdings rösten wir nur bei 125 Grad, so bleibt der Eigengeschmack erhalten“, sagt Michel.

„Unsere Spezialität ist die 100 Prozent Schokolade“. Die bestehe nur aus einer Zutat: der Kakaobohne. Insgesamt gilt bei Edelmond: viel Kakao, wenig Zucker, keine künstlichen Aromen. Ein Drittel der Edelmond-Produkte sei ganz ohne Zucker, ein weiteres Drittel vegan. „Billige Schoko-Nikoläuse findet man überall, aber wer keinen Zucker verträgt, ist gerne bereit, auch mal mehr Geld für unsere Figuren auszugeben“.

Andere Süßwarenhersteller zeigen sich bei der Weihnachtsproduktion experimentierfreudiger: der traditionsreiche Berliner Pralinenhersteller Sawade füllt seine Kugeln zum Beispiel mit Cremes, die nach Bratapfel, Spekulatius, Glühwein oder gebrannten Mandeln schmecken. Und Bahlsen probiert fürs Weihnachtsfest 2018 Lebkuchen-Sticks mit Cranberry aus. Am besten verkauften sich aber nach wie vor Produkte, die die Kunden aus der Kindheit kennen: „An Weihnachten stehen die Leute nicht auf Trends“, meint Bahlsen-Sprecher Christian Bahlmann.

Zurück im Innenhof der Schokoladenfabrik flimmert die Hitze. Die Lust, jetzt in einen Schoko-Nikolaus zu beißen, bleibt noch aus. Damit die Schokolade nicht schmilzt, müsse Edelmond die Tafeln mit Kühlelementen in Styroporboxen verschicken. Auch bei Storck sei der Absatzmarkt durch die Hitze gesunken, sagt Sprecher Bernd Rößler: „Momentan greift man einfach lieber zum Eis“.

Auch Thomas Michel zieht es an einen kühleren Ort. In der Produktionshalle steht der silbern glänzende Melangeur. Die Walzmaschine mahlt die gerösteten und gehackten Bohnen, sogenannten Nibs, mit zwei dicken Granitrollen zu Schokolade. Durch die Reibung schmilzt die Kakaobutter, für die veganen Weihnachtsmänner wird nur noch Rohrzucker hinzugefügt. Dieser Prozess dauert stolze 40 Stunden. In der Industrie werde die Zeit durch Emulgatoren verkürzt. „Den Unterschied schmeckt man einfach raus,“ ist sich Michel sicher.

Edelmond vertreibt 95 Prozent der Schokolade über seinen Onlineshop. Auch Bio-Supermarktketten seien schon auf sie zugekommen. Doch die Michels lehnten ab, ihr kompliziertes Herstellungsverfahren erlaube einfach keine Massenproduktion. „Wir haben einen Stand erreicht, mit dem wir uns wohlfühlen. Wir wollen gar nicht weiterwachsen.“

Die Schokolade ist nun fertig für den letzten Schritt. Dafür übergibt Thomas Michel an Mitarbeiter David. Vorsichtig gießt der die flüssige Schokolade in eine Pinguin-Form und wendet sie darin so lange, bis sich die Flüssigkeit in alle Ecken verteilt hat. Dann stellt er die Form für eine Stunde in den Kühlschrank. Später löst David den Pinguin behutsam aus der Form. Abbeißen darf man aber noch nicht, da ist Thomas Michel streng: „Der volle Geschmack hat sich erst in zwei Wochen entfaltet.“ Dafür gibt’s eine Tafel Zartbitter Schokolade: „Lutschen, nicht kauen“, mahnt er. Und tatsächlich: die Schokolade schmeckt ganz anders als Industrieware. Intensiver, nach fruchtigen Aromen und einem Nachgeschmack von Kaffee. Nach Weihnachten im August.

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