Feintäschner: Die Naht ist seine Handschrift - dhz.net

2022-08-21 05:33:40 By : Ms. Joshua Hong

Kunsthandwerker Ulrich Czerny strebt nach Perfektion. Begeistert für die Arbeit mit Leder und ausgeklügelten Werkzeugen schafft der Feintäschner Portemonnaies und Taschen von hoher Ästhetik bei langer Lebensdauer.

Gefragt nach seinem Lieblingswerkzeug, muss Ulrich Czerny nicht lange nachdenken. Seine Handnäh­ahle möchte der Feintäschner nicht missen, obwohl sie gar nicht für das Nähen von Leder gedacht ist. Czerny hat sie von den Segelmachern übernommen und an seine Bedürfnisse angepasst. So entstehen unter den Fingern des Feintäschners in reiner Handarbeit exklusive Ledertaschen und -geldbörsen, die keine Maschine nähen könnte.

Die vielfach prämierten Kreationen des Kunsthandwerkers aus Lichtenau bei Chemnitz zeichnen sich nicht nur durch ihren hohen Anspruch an die Gestaltung aus. Das elegante De­sign paart sich bei Ulrich Czerny mit einer präzisen Verarbeitung, die zuallererst in der Akkuratesse seiner Nähte ihren Ausdruck findet. Die Naht ist Czernys Handschrift. Deshalb tüftelt er nicht nur an den Entwürfen für seine Handtaschen oder Portemonnaies, sondern auch an den Werkzeugen, mit denen er die angestrebte Qualität erreicht. Die Handnähahle spielt dabei eine Schlüsselrolle.

Traditionell würden Sattler Leder mit zwei Nadeln und einem Faden auf einem Nähross nähen, erzählt Czerny. Er greift hingegen lieber zur Handnähahle der Segelmacher, die wie eine Nähmaschine mit Ober- und Unterfaden arbeitet. "Das funktioniert beim Nähen von Leder aber nur mit synthetischen Garnen. Naturgarn würde zu schnell reißen", erklärt der Feintäschner, der das Werkzeug für seine Zwecke noch etwas modifiziert hat. Dabei kommt ihm seine Berufsausbildung zugute.

Bei seiner Lehre zum Werkzeug­macher in Saarbrücken hat der gebürtige Hesse gelernt, wie man mit Metall umgeht, Messer schärft, Werkzeuge richtet und dass es auf den Bruchteil eines Millimeters ankommen kann. "Aber in der Industrie war ich völlig fehl am Platz", erinnert der 59-Jährige daran, dass ihm hierarchische Strukturen schon in der Schule missfallen hatten. Lieber heuerte der passionierte Radfahrer als Schrauber in einer selbstverwalteten Fahrradwerkstatt an. Vier gleichberechtigte Mitarbeiter ohne Chef. Zehn Jahre lang arbeitete Czerny als Zweirad­mechaniker in einem Metier, dem er sich immer noch verbunden fühlt. Sechs Fahrräder gehören bis heute zu seinem Fuhrpark – vom Lastenrad bis zum mit Spikes bereiften Modell für den Wintereinsatz. "Aber die Leidenschaft für die Fahrräder war doch nicht so stark ausgeprägt wie die für das Leder", ge­steht Czerny.

Diese Leidenschaft wurde früh geweckt. Als Zehnjähriger zeigte ihm der Vater, wie man mit Leder arbeitet. Gemeinsam fertigten sie ein Etui für den Großvater, später nähte sich Ulrich Czerny seine eigene Lederhose. Aber das Handwerk des Sattlers oder Feintäschners wurde ihm nie von einem Lehrmeister beigebracht.

Czerny ist Autodidakt. Das Know-how für die Verarbeitung von Leder hat er sich im Selbststudium beigebracht, Bücher gewälzt und viel experimentiert. "Als Handwerker das Ge­­werk zu wechseln, ist eigentlich gar nicht so schwierig. Denn Geschicklichkeit und das Gefühl für das Material bilden für jeden handwerk­lichen Beruf die Basis", sagt Czerny. Eine eigene Werkstatt gründen durfte er ohne Gesellenbrief dennoch nicht.

Den Zugang zur Selbstständigkeit fand Czerny schließlich über den Be­­rufsverband Handwerk Kunst Design Saar, als dessen Mitglied er seine Taschen auf der Frankfurter Messe Tendence ausstellen durfte. Bei seiner ersten Teilnahme konnte er gleich Aufträge über 20.000 D-Mark akquirieren.

Außerdem wurde er auf An­­hieb für den Hessischen Staatspreis für das deutsche Kunsthandwerk nominiert. "Das war natürlich ein Wahnsinnsstart", blickt Czerny zu­­rück. Und ein Motivationsschub. "Die ersten zehn Jahre habe ich quasi durchgearbeitet, unterbrochen nur vom Schlaf. Das war völlige Begeisterung. Als ich mir dann im Lederbereich einen Namen gemacht hatte, musste ich wieder lernen, auch mal in den Urlaub zu fahren."

Seine Hingabe für die Arbeit mit Leder hat sich Ulrich Czerny bis heute bewahrt. Das beginnt schon bei der Auswahl des Materials. Der Feintäschner verarbeitet ausschließlich pflanzlich gegerbtes Leder vom Rind oder Pferd mit glatter Innen- und Außenseite.

Nach dem Zuschnitt hobelt er die scharfen Kanten des Leders ab und imprägniert die Schnittkanten mit einer Politur. Wo das feste Leder ge­faltet werden soll, schneidet er mit einem Kehleisen von der Innenseite des Leders Material weg. So entsteht die Sollknickstelle. Mit dem Reifeleisen drückt er parallel zur Kante eine Linie für die Naht ins Leder und markiert anschließend mit dem Prickrad den Abstand der Stiche. Dann greift er zur Schwertahle, mit der er die Löcher vorsticht, bevor mit der Handnähahle das eigentliche Nähen beginnt. 

Die tradierte Arbeitsweise erlaubt dem Feintäschner Konstruktionen, an denen der Einsatz von Nähmaschinen scheitern würde. Selbst bei der Handarbeit geht Czerny bis an die Grenzen des Machbaren. Auf seine Geldbörsen ist der Kunsthandwerker daher besonders stolz. Sie überzeugen mit einem Detail, das nach seinem Wissen kein anderer Hersteller bisher so hinbekommen hat. Czerny- Portemonnaies haben außen keine Nähte, die im Lauf der Zeit durchscheuern können. "Wenn sie nicht gestohlen werden, hat man sie ein Leben lang", scherzt der mehrfach ausgezeichnete Tüftler. Neben dem renommierten Hessischen Staats­preis für Kunsthandwerk schmücken der Bochumer Designpreis und der Saarländische Staatspreis für Design seine berufliche Vita.

Nach Sachsen hat Ulrich Czerny die Liebe verschlagen. Während einer Ausstellung in Hamburg lernte er die Buchbinderin Cornelia Ahnert kennen. Ein paar Monate später ist er zu ihr nach Lichtenau gezogen. Als sich 2015 die Chance ergab, die leer­stehende alte Schule gegenüber ihrer Buchbinderei zu kaufen, überzeugte Czerny die Gemeinde mit seinem Konzept von einem Werkstatthaus und durfte das Gebäude erwerben. Seither hat sich der "Werkraum Lichtenau" zu einer Art handwerklichem Zentrum im Ort entwickelt. Neben der Feinsattlerei Czerny sind noch eine Damenmaßschneiderin, eine Handbuchdruckerei sowie eine Seelsorgerin eingezogen. Im Frühjahr wird eine Werkstatt frei, für die Czerny einen gestaltenden Handwerker als Nachmieter sucht.

Nach dem Umzug ins neue Domizil stellte sich Ulrich Czerny gleich der nächsten Herausforderung. Bei der Handwerkskammer Chemnitz erwarb er den Ausbilderschein und stellte seinen ersten Lehrling ein. Ein Glücksgriff, wie sich herausstellte. Henry Kunath entwickelte die gleiche Begeisterung für die Arbeit mit Leder wie sein Lehrmeister. Im Leistungswettbewerb des Deutschen Handwerks holte sich Czernys Schützling den ersten Bundessieg. Inzwischen absolviert Kunath seine Meisterausbildung, während sein Lehrmeister schon den nächsten Azubis das Feintäschnerhandwerk beibringt. Dabei räumt er seinen Lehrlingen Freiräume ein, in denen sie sich ausprobieren können. So bekommen sie pro Woche einen halben Tag Zeit, um eigene Projekte umzusetzen.

Wer Ulrich Czerny einmal bei der Arbeit über die Schulter schauen möchte, hat am ersten April-Wochenende 2022 Gelegenheit dazu. An den Europäischen Tagen des Kunsthandwerks will auch der Feintäschner seine Werkstatt öffnen.

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