Trend-Ratgeber: Was tragen Männer diesen Winter? - WELT

2021-12-27 17:51:55 By : Ms. SC CarBeauty

W as Frauen können, können Männer schon lange. Die Rede ist von nachhaltigem Modekonsum, der neuerdings in jeder Frauenmodezeitschrift gepredigt, seit Jahrzehnten aber schon von Männern kultiviert wird. Männer shoppen eher sporadisch, dafür mit Bedacht und Blick auf Qualität und Handwerk, statt Trends hinterherzujagen und Massenware von der Highstreet anzuhäufen.

Zumindest die Männer, die seit 28 Jahren zu Jürgen Reschop kommen. Erst, als er noch Maßanzüge fertigte, Mäntel und Schuhe. Später dann, als er anfing, einen weitaus pluralistischeren Ansatz zu entwickeln und in seinem Atelier „Kingsman House“ in München-Bogenhausen auch Jeans, Sneaker und Pullover individuell seinen Kunden anzupassen. Wer seinen persönlichen Stil gefunden hat, wer weiß, welche Kleidung sich in das Umfeld fügt, in dem er sich bewegt, wer weiß, wie sich der Oberkörper zu den Beinen verhält und die Garderobe entsprechend darauf abstimmt, lässt Kleidungsstücke im Zweifel eher reparieren, als sie sofort zu ersetzen. Aber Reschop will noch mehr sein als Maßschneider und Stilberater. „Ich will Persönlichkeiten kreieren in einer Gesellschaft, in der durch Alltagsgewohnheiten eine Uniformität entstanden ist, die nur noch wenig mit einer intelligenten Garderobenkultur zu tun hat und sich zunehmend am Stilgefühl eines Mark Zuckerberg orientiert.“

Es kämen aber auch wieder vermehrt junge Männer von den Unis in sein Geschäft, die lernen wollen, sich gut anzuziehen, so Reschop. Junge Männer, die ihren eigenen Weg gehen und in die klassische Garderobe zurückfinden. Bei ihnen, aber auch bei seinen anderen Kunden, erkennt er vor allem in den kälteren Monaten Unsicherheiten, was die richtige Kleiderwahl angeht. Ist das, was wärmt, auch im Büro salonfähig? Welche Materialien stauchen nicht beim Zwiebellook – und kann man Stiefel zur Anzughose tragen? Kurz gesagt, was trägt Mann diesen Winter?

„Gerade gilt grundsätzlich: mehr Casual, weniger Business“, sagt Reschop. Denn natürlich machten sich auch die aktuellen Gegebenheiten in der Kleiderwahl der Männer bemerkbar. In einem nur halb gefüllten Büro nimmt auch die Etikette deutlich ab, zu Hause gibt es keinen Dresscode, also kommt eher die gemütliche als die Anzughose zum Einsatz. „Das erklärt möglicherweise die neue Begeisterung für Cord“, so Reschop. „Was man früher eigentlich nur am Erdkundelehrer gesehen hat, wird jetzt immer häufiger nachgefragt.“

Allerdings, und das gelte es beim Cord unbedingt zu beachten: Das Material, das dank einer speziellen Hohltechnik besonders robust ist, steht nicht jedem Mann. „Der Trend geht sogar zum Dreiteiler aus Cord“, so Reschop. „Allerdings muss der dann auch zum Typ passen.“ Und der sei eher groß und kräftig gebaut als klein und schmächtig. „Vielleicht trägt er auch noch Bart und ist vom Wesen eher Naturbursche als Büromensch. Wer sich an das Thema herantrauen will, kann aber auch erst mal mit einer Hose aus Cord starten.“

„Flanellanzüge wecken bei Älteren vielleicht noch Erinnerungen an die Kindheit, als man um der Disziplin willen ein kratziges Exemplar tragen musste“, sagt der Maßschneider. Nun ist Flanell wieder zurück – aber ganz anders. „Moderne Flanellstoffe sind viel weicher, die Oberfläche fühlt sich nicht mehr so fest an. Das liegt daran, dass Flanell heutzutage gewebt und mit Dornbüschen aufgeraut wird. So lässt es sich sogar ohne Innenfuttertuch tragen. Rein ästhetisch haben Flanellanzüge einen winterlichen Charakter und tragen sich wirklich sehr gemütlich.“ Flanell sei der vornehmste der halboffiziellen Anzüge, meint Reschop. „In einer mittelgrauen Farbvariante kann man damit sogar zu Beerdigungen gehen, bis hin zum Empfang beim Bundespräsidenten.“

Zum rustikalen Look, den der Modeberater im Winter für stilvoll erachtet, passen ebenso Anzüge aus Glencheck. „Vor ein paar Jahren war es eher noch das Fensterkaro, das angesagt war. Der ein oder andere erinnert sich vielleicht an die Auftritte von Alexander Dobrindt in seiner Funktion als Verkehrsminister, bei denen er sich im groß karierten Muster zeigte. Beim Glencheck verläuft sich das Karo aber besser, es wirkt nicht mehr so starr.“ Der Experte rät zu braunen oder erdigen Farbtönen und empfiehlt den bewussten Stilbruch, etwa indem man ein gestreiftes Hemd kombiniert.

In der letzten Zeit immer präsenter wird der Rollkragen. Trotzdem trauen sich die meisten nur zaghaft daran. „Vielleicht, weil man unsicher ist, wie man ihn kombiniert“, so Reschop. „Ein Rollkragenpullover unter dem Sakko – das ist richtig guter Stil. Das Material sollte dabei eher dünn sein, damit der Look nicht aufträgt. Dicke Strickrollkragen kann man eigentlich nur beim Pferdefüttern oder bei der Arbeit auf dem Hof tragen“, meint Reschop. „Ich würde lieber feinere Materialien wie Kaschmir, einen Kaschmir-Seide-Mix oder Merinowolle wählen. Und die ganz dünn gewebten Modelle funktionieren tatsächlich auch ohne Unterhemd.“ Einzig Bartträgern rät er von den klassischen Rollkragenmodellen ab. „Es kann schnell unangenehm werden, wenn die Haare an dem Material hängen bleiben. Dann nimmt man eher den Turtleneck, also den etwas nach oben gezogenen Rundhalsausschnitt.“ Allerdings sei der momentan nicht wirklich modern.

Dünne Daunenwesten sind Reschops favorisierte modische Helfer, um im Winter gut gekleidet zu sein. „Vor allem Männer, die kein Gefühl für Mode haben, retten sich mit Funktionsware über die niedrigen Temperaturen. Das kann man aber auch kultivieren und dafür eignen sich leichte Daunenwesten besonders gut. Trägt man oben einen klassischen Wollanzug und darunter eine orangefarbene Weste, sieht das ein bisschen witzig, aber eben auch richtig schick und geschmackvoll aus.“ Seinen Kunden besorgt Reschop gern welche bei Uniqlo, weil er dieselbe Qualität für den Preis nicht selbst herstellen könnte. Der japanische Filialist ist bekannt für die leichte Materialität bei seiner Daunenware, die trotzdem ausreichend wärmt. Je nach Gelegenheit oder Witterungsverhältnissen kann man die Weste eingerollt problemlos in der Seitentasche des Sakkos verstauen.

Bei Minusgraden hilft oft nur das Zwiebelprinzip – also möglichst viele Lagen übereinander zu tragen. Besonders naheliegend und wärmend ist ein Unterhemd. Wenn es nach den meisten Männern geht, sollte das allerdings möglichst verborgen bleiben. „Tatsächlich ist das gar nicht so einfach, weil die meisten Hersteller nur Modelle mit Roundneck, also einem runden Halsausschnitt, fertigen“, weiß Maßschneider Reschop, der daher auch Unterhemden mit V-Neck fertigt, die man auch bei geöffnetem Hemdkragen nicht sieht. „Ich schätze besonders die Stoffe von Stefan Brandt, einem Physiker, der in eigener Produktion in Ecuador Jerseystoffe entwickelt und produziert.“ Das Ergebnis sei eine Materialität, die sich wie Seide oder Kaschmir anfühle, die sich aber trotzdem bei 60 Grad waschen lasse und quasi knitterfrei aus der Maschine komme. Der glatte Stoff hat aber auch noch einen weiteren, ästhetischen Vorteil: Die darüber getragene Kleidung bleibt nicht am Stoff kleben, sodass keine unschönen Stauchungen entstehen.

Neuerdings fertigt Reschop immer mehr Kleidungsstücke, die ursprünglich aus Baumwolle waren, aus Kaschmir an. „Viele meiner Kunden fragen explizit nach dem weichen Material, das eben nicht nur für den Winter, sondern auch für wärmere Monate geeignet ist, da es sich klimaausgleichend verhält.“ In seinem Atelier wird der Kunde zunächst ausgemessen, anschließend entscheidet er sich für eine Materialdicke. „Im Prinzip kann man bei Kaschmir sogar so weit gehen, einen typischen Hamburger Hafenblazer daraus zu fertigen.“ Für individualisierte oder personalisierte Kaschmirprodukte arbeitet der Münchener gern mit dem Hamburger Kaschmirexperten Heydorn zusammen, der seine Wolle aus Kathmandu bezieht.

Der Vorteil von Kaschmir sei insbesondere die Langlebigkeit des Materials. „Ich arbeite generell nur mit hochwertigen Stoffen. Nichts anderes ergibt bei einer nachhaltigen Garderobe Sinn“, erklärt Reschop. Nachdem sich seine Kunden bei ihm einen Anzug oder einen Pullover fertigen lassen, ist der Schneider immer wieder Anlaufstelle, falls nach einiger Zeit doch mal geringfügige Anpassungen oder Reparaturen an dem Kleidungsstück vorgenommen werden müssen. Das wiederum gelingt nur, wenn die Stoffe von vorneherein eine ordentliche Qualität aufweisen.

Stiefel sind nicht immer problemlos zum Anzug zu kombinieren, weil sich das Hosenbein stauchen könnte und so die Beine möglicherweise kürzer aussehen, als sie eigentlich sind. Der Chelsea Boot hat sich deswegen zum Nonstop-Klassiker entwickelt, weil er etwas schmaler ist. Allerdings sei im normalen Berufsalltag auch kein Stiefel notwendig, meint Jürgen Reschop. „Wenn Sie einen schön aufgebauten rahmengenähten Halbschuh nehmen, dann isoliert der auch gut, dann muss kein Mann an den Füßen frieren.“ Entscheidend beim Tragen von Halbschuhen im Winter sei die dicke Sohle. „Der wesentliche Unterschied ist die Gummisohle im Winter und die glatte Ledersohle im Sommer.“ Eine Noppensohle eigne sich bei Schneeglätte, ist aber eben nicht voll profiliert wie bei Bergschuhen, mit denen man den Schnee oder den Dreck ins Büro tragen würde. „Das einzige Problem bei Gummisohlen ist, dass sie sich deutlich schneller ablaufen als Ledersohlen. Aber auch hier ist die Qualität entscheidend. Bei einer klassischen Goodyear-Sohle, die in einen rahmengenähten Schuh gearbeitet wird, kann man die Gummisohle auch austauschen, wenn sie sich abgelaufen hat, sodass man den Schuh nicht wegwerfen muss.“ Für Spezialanfertigungen wendet sich Reschop zuverlässig an den mallorquinischen Schusterbetrieb Yanko, bei konfektionierter Ware an John Lobb aus London oder Church.

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