Plastikmüll: Papiertüten sind auch nicht besser - DER SPIEGEL

2021-12-14 18:04:44 By : Ms. coco zhou

Umweltfreundliche Produkte sind beliebt und Bezeichnungen wie „ökologisch“ und „bio“ geben dem Verbraucher ein gutes Gefühl. In Zeiten, in denen Land und Meer unter riesigen Müllmengen leiden, werben Unternehmen mit vermeintlich umweltfreundlichen Biokunststoffen oder kompostierbaren Behältern.

Aber können Einwegverpackungen wirklich umweltfreundlich sein?

Die Firma Velibre aus Bremen beispielsweise vertreibt biologisch abbaubare Kaffeekapseln für Nespresso-Maschinen. Nach Angaben des Unternehmens Nestlé werden solche Kaffeemaschinen in mehr als 60 Ländern eingesetzt und von Stars wie George Clooney beworben.

„Herkömmliche Kaffeekapseln produzieren eine gigantische Menge Müll“, sagt Velibre-Sprecher Walter Hasenclever. „Unsere Kapseln bestehen ausschließlich aus Rohstoffen, die im Boden oder im Kompost biologisch abbaubar sind“, heißt es auf der Website.

Wenn Sie genauer lesen, werden Sie feststellen, dass der Abbau der Kapseln von vielen Bedingungen abhängt, beispielsweise von Temperatur und Umgebung. Labortests bei Raumtemperatur zeigten, dass die Kapseln nach acht Monaten fast vollständig zerfallen waren.

„Das ist zu lang“, sagt die studierte Biotechnologin Petra Weißhaupt vom Umweltbundesamt. "Streng genommen gehört dieses Produkt in die schwarze Tonne, in den Restmüll." In Industrieanlagen dauert die Kompostierung der organischen Abfälle in der Regel maximal zwölf Wochen.

Müll: 822.000 Eiffeltürme aus Plastik

Das hat nun auch Velibre erkannt und eine Kapsel aus Papier entwickelt, die nach Angaben des Unternehmens vollständig kompostierbar ist und sich innerhalb weniger Wochen zersetzt. Die Kapsel, die Ende März 2018 auf den Markt kommen soll, besteht aus Zuckerrohrfasern, die unter Zugabe von Wasser und natürlichen Bindemitteln zu einem feinen Fruchtfleisch vermahlen und anschließend in Form gepresst werden.

„Wir sind uns sicher, eine umweltfreundliche Alternative zu herkömmlichen Kaffeekapseln gefunden zu haben“, sagt Sprecher Hasenclever. „Der Markt für Kaffeekapseln wächst. Ich glaube, dass dieser Trend nicht aufzuhalten ist.“

Für Thomas Fischer von der Deutschen Umwelthilfe (DUH) sind kompostierbare Kapseln eine große Verbrauchertäuschung. „Grundsätzlich kann es nicht ökologisch sein, Kaffee grammweise zu verpacken“, sagt der Umweltwissenschaftler aus Berlin.

"Hat nichts mit Umweltschutz zu tun"

„Die vermeintlich ökologischen – weil biologisch abbaubaren – Kaffeekapseln ändern nichts an der Umweltbelastung eines ressourcenfressenden, klimaschädlichen und unnötigen Verpackungssystems“, sagt Fischer. "Das hat mit Umweltschutz absolut nichts zu tun."

Auch das Umweltbundesamt (UBA) und die Deutsche Umwelthilfe stehen Biokunststoffen kritisch gegenüber. „Immer mehr Mengen an kurzlebigen und ressourcenschonenden Einwegverpackungen sollten durch den Einsatz von Biokunststoffen legitimiert werden“, kritisiert Umwelthilfe-Experte Fischer.

Ebenso wie die Experten des Umweltbundesamtes betont er, dass die Ökobilanz von Biokunststoffen bislang bei weitem nicht besser sei als die von Kunststoff aus fossilem Erdöl. Während konventionelle Verpackungen im Gelben Sack landen und recycelt werden können, werden viele Biokunststoffe vor der Kompostierung in einer Anlage aussortiert und schließlich verbrannt.

Zudem benötigt der Anbau von Mais, Kartoffeln oder Zuckerrohr für Biokunststoffe nicht nur Treibstoff und Dünger, sondern oft auch Pflanzenschutzmittel, wie das UBA betont. Nach der Ernte müssen die Pflanzen noch verarbeitet werden, was auch zu Umweltbelastungen führt. Der Dünger könnte Gewässer verschmutzen.

Selbst Einweg-Papiertüten schneiden laut Umweltexperten in Ökobilanzen nicht besser ab als herkömmliche Plastiktüten. Im Gegenteil: „Für die Papiertüte braucht man sehr lange, sehr reißfeste Zellulosefasern. Für deren Herstellung wird viel Wasser und Energie benötigt und es muss viel Chemie eingesetzt werden“, erklärt DUH-Experte Fischer.

Um die gleiche Reißfestigkeit wie eine Plastiktüte zu haben, wird für eine Papiertüte doppelt so viel Material benötigt. „Was den Ressourcenverbrauch angeht, schneidet die Papiertüte schlechter ab als die Einweg-Plastiktüte. Es macht überhaupt keinen Sinn, Plastiktüten durch Einweg-Papiertüten zu ersetzen.“

Ziel muss es sein, generell auf Einwegbeutel zu verzichten. Auch der Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, Jürgen Resch, betont: „Wir brauchen keine Einwegverpackungen – egal aus welchem ​​Material –, sondern Mehrwegsysteme, um Ressourcen zu schonen und unsere Meere vor Müllteppichen zu schützen.“

Die Strategie, den Erdölverbrauch zu reduzieren und nachwachsende Rohstoffe zu verwenden, ist laut Fischer grundsätzlich sinnvoll. Vorrangiges Ziel sollte jedoch die Vermeidung von Abfällen und der Einsatz alternativer Mehrwegprodukte sein. Biokunststoffe werden derzeit von Einwegherstellern missbraucht, um Geld zu verdienen. "Du musst die Leute aufrütteln."

Eine Trendwende hin zu Mehrwegverpackungen ist derzeit jedoch nicht in Sicht. Laut dem EU-Projekt BioCannDo boomt der Weltmarkt für Biokunststoffe. Demnach erwarten Experten in den nächsten fünf Jahren ein Wachstum von 20 Prozent.

Ein Segment, in dem viele Unternehmen Gewinne erwarten, ist Spielzeug. Laut einer Projektwebsite werden immer mehr Spielzeuge aus Biokunststoffen hergestellt. Die Nachfrage der Eltern ist daher hoch – viele hätten falsche Erwartungen.

Tatsächlich setzen viele namhafte Unternehmen wie Lego auf Produkte aus nachwachsenden Rohstoffen. Bis 2030 will der Konzern seine Bausteine ​​nicht mehr aus erdölbasiertem Kunststoff herstellen, sondern nachhaltige Rohstoffe und Verpackungen verwenden.

Die Annahme, Biokunststoff-Spielzeug sei automatisch nachhaltiger und sicherer, stimmt nicht, meint der Wissenschaftler Martin Wagner von der Technischen und Naturwissenschaftlichen Universität Norwegens in Trondheim.

Chemische Zusatzstoffe, die Spielzeug flexibel und widerstandsfähig machen, sind für Biokunststoffe ebenso notwendig wie für konventionelle Kunststoffe. Zur Wirkung solcher Additive in Biokunststoffen gibt es kaum Studien. Über mögliche Gesundheitsrisiken für Kinder ist wenig bekannt.

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