100 Jahre Klingele: Explodierende Nachfrage wegen Corona - Remshalden - Zeitungsverlag Waiblingen

2022-10-02 09:50:23 By : Mr. Wekin Cai

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Remshalden. Seit 100 Jahren stellt die Firma Klingele Verpackungen aus Wellpappe her, seit 1936 in Remshalden. Das Material hat Konjunktur, derzeit besonders durch den beispiellosen coronabedingten Ansturm auf den Lebensmittelhandel. Im Interview spricht der geschäftsführende Gesellschafter des Unternehmens, Dr. Jan Klingele, über die explodierende Nachfrage nach Wellpappe in Zeiten des Coronavirus, Wellpappe als Fundament von Fußballstadien und das Potenzial als Verpackungsmaterial der Zukunft.

Herr Klingele, die Corona-Krise bringt viele Unternehmen in Existenznöte. Sie stellen Verpackungen für Lebensmittel- und Versandhandel her – Ihr Geschäft müsste ja derzeit noch besser laufen als vorher, oder?

Kurzfristig haben wir derzeit tatsächlich einen deutlichen Schub. Das liegt vor allem daran, dass die Leute die Supermärkte leerkaufen. Die Hamsterkäufe haben dafür gesorgt, dass die Fabriken, die Lebensmittel und andere Waren des täglichen Bedarfs produzieren, auf Hochtouren laufen und einen hohen Bedarf an Verpackungen haben. Das wird sich aber mit Sicherheit wieder normalisieren. Keiner weiß, wie es jetzt weitergeht, aber ich denke, dass sich das Geschäft langfristig eher abschwächen wird.

Wir haben zwar die meisten Kunden im Lebensmittelhandel, aber auch zahlreiche im industriellen Bereich. Die werden deutliche Auftragsrückgänge haben, was wir auch spüren werden.

Dafür wächst ja der Onlinehandel.

Ja, wir merken, dass das gerade auch anzieht. Man muss aber sehen, dass der Onlinehandel in vielen Bereichen trotz rapiden Wachstums aus unserer Sicht immer noch in den Kinderschuhen steckt. Für den Wellpappenbedarf überwiegen die traditionellen Distributionskanäle noch deutlich. 50 Prozent der Wellpappe geht branchenweit in den Supermarkt.

Ist die Produktion bei Klingele auch durch Corona beeinflusst?

Uns fehlen jede Menge Mitarbeiter. Nicht, weil sie krank sind, sondern weil sie in Krisengebieten oder in Kontakt mit Infizierten waren. In unserem Werk in Hipoltstein bei Nürnberg sind zwischenzeitlich mehr als 40 Leute ausgefallen. Mehr als 20 Leute dort waren in Tirol beim Skifahren. Aber auch unabhängig davon hat unsere Produktionskapazität Grenzen, kurzfristig können wir die enorm gestiegene Nachfrage, die wir derzeit erleben, kaum bedienen. Deswegen haben wir dadurch kaum Umsatzwachstum.

Pappe ist das Material der Stunde.

Ja, aber nennen wir es bitte Wellpappe.

Der Unterschied ist die Welle. Pappe ist eigentlich einfach dickes Papier. Das finden Sie bei einer Cornflakes-Schachtel. Bei Wellpappe haben Sie zwischen den beiden äußeren Schichten noch die wellenförmige Struktur. Das macht das Ganze so stabil. Wellpappe ist bei gleichem Gewicht stabiler als Holz.

Sie haben im Foyer Ihrer Firmenzentrale einen Tresen aus Wellpappe stehen. Könnte man auch ein Haus daraus bauen?

Natürlich, das wurde auch schon gemacht. Man muss nur auf zwei Besonderheiten achten: Wenn das Ding nass wird, ist es vorbei mit der Standfestigkeit. Und der Brandschutz: Pappe brennt toll, durch die Kanäle kommt viel Luft rein. Wellpappe aus unserem Werk in Delmenhorst kam aber zum Beispiel beim Bau der Arena von Schalke 04 zum Einsatz.

Das Fußballstadion in Gelsenkirchen? Wie das?

Weil das Dach der Arena nur eine kleine Öffnung hat, durch die kaum Licht kommt, haben die dort einen Rasen, den man komplett aus dem Stadion rausfahren kann. So bekommt der genug Sonne ab. Unter dem Rasen befindet sich ein Betonboden, der hohl ist, damit er besser schwingt. Zum Betonieren kam damals der Bauingenieur auf die Idee, in den Hohlräumen Wellpappe als Schalung zu verwenden. Nachdem der Boden fertig war, ist die dann einfach verrottet. Das ist ja der große Vorteil von Wellpappe: Sie besteht wie Papier aus Holzfasern und ist zu 100 Prozent biologisch abbaubar.

Wenn wir über Müllvermeidung reden: also genau das richtige Material?

Aus Umweltgesichtspunkten ist Wellpappe interessant. Es ist ein nachwachsender Rohstoff. Und wir haben eine hohe Recyclingquote. Einen Karton aus Wellpappe können wir komplett wiederverwerten. Wir machen das Papier für unsere Produkte zu 100 Prozent aus Altpapier. Aber wir haben eine Achillesferse.

Wir brauchen viel Energie, um den Kreislauf aufrechtzuerhalten, und viele Maschinen, um das Altpapier wieder aufzubereiten. Und auch die großen Papiermaschinen benötigen viel Energie. Deswegen unternehmen wir große Anstrengungen, um diese Energie möglichst umweltfreundlich zu erzeugen. Daran haben wir viel gearbeitet. Zudem verbrauchen wir heute pro produzierter Tonne Wellpappe 30 Prozent weniger Strom und Wärme als noch im Jahr 2000.

Wie haben Sie das geschafft?

Wir haben in dem Bereich in den vergangenen zehn Jahren mehr als 100 Millionen Euro investiert. Wir haben in Weener in Ostfriesland ein Ersatzbrennstoffkraftwerk, in dem wir sortierte Abfälle verbrennen und dadurch 75 Prozent des Energiebedarfs unserer Papierfabrik dort decken. Wir haben in Frankreich ein Biomasse-Kraftwerk und eine Reststoffverbrennung. Und wir haben in Norddeutschland ein eigenes Windrad mit 134 Metern Nabenhöhe. Alles in allem erzeugen wir 85 Prozent der Wärme und 55 Prozent des Stroms, die wir verbrauchen, aus erneuerbaren Quellen oder Abfall.

Kommen Sie noch auf 100 Prozent?

Das ist eine Vision, die wir mit uns herumtragen. Aber wir sind da schon sehr weit. Ich behaupte mal, dass Sie keine andere Papierfabrik finden, die ein eigenes Windrad hat. 2019 haben wir einen Preis für die umweltfreundlichste Firma weltweit in der Wellpappen-Branche bekommen.

Wo kommen die Endverbraucher denn mit Klingele-Wellpappe in Berührung?

Mehr als die Hälfte unserer Verpackungen landet im Supermarkt. Zum Beispiel die Trays, das heißt, die Kartons, in denen die Joghurt-Becher oder die Tetrapaks stehen. Nestlé oder Danone gehören zu unseren Kunden. Unser Logo ist aber in den seltensten Fällen drauf, deswegen werden Sie eine Klingele-Verpackung kaum erkennen. Unser Marktanteil in Deutschland liegt bei fünf Prozent. Insgesamt wächst der Markt für Verpackungen aus Wellpappe.

Weil die Leute immer mehr online bestellen?

Das ist wie gesagt derzeit noch kein so großer Faktor, wird aber wahrscheinlich noch zunehmen. Wichtiger für uns ist, dass der Welthandel insgesamt wächst. Und all die Waren, die durch die Welt geschickt werden, müssen verpackt werden. Dazu braucht es Wellpappe. In den vergangenen Jahren ist der Absatz von Wellpappe sogar stärker gewachsen als das Bruttosozialprodukt. Wir müssen sehen, wie es sich nun weiter entwickelt, wenn die Auswirkungen der Corona-Krise voll durchschlagen.

Jetzt feiern Sie das 100-jährige Bestehen der Firma. Sie selbst sind 30 Jahre im Unternehmen.

Vollzeit sind es 30 Jahre. Tatsächlich war ich schon früher dabei. Das ist in einem Familienunternehmen ja so eine Sache. Als ich noch Schüler war, hat mein Vater gesagt: Er kennt sich ja überall aus, aber nicht bei der EDV. Da soll ich mich doch bitte drum kümmern. Dann bin ich hierhergekommen und habe mit dem EDV-Leiter gesprochen, was der so macht. In gewissen Dingen war ich den Profis damals voraus. Als die ersten PCs in der Firma auftauchten, war das für die Neuland.

War für Sie immer klar, dass Sie eines Tages in der Firma landen?

Ich bin ja praktisch damit aufgewachsen. Als ich mein erstes Wellpappenwerk gebaut habe, war ich sechs Jahre alt.

Ja, mit Lego. Mein Vater hat damals immer die Pläne für ein neues Wellpappenwerk mit nach Hause gebracht. Das habe ich komplett nachgebaut. Mich hat immer fasziniert, was mein Vater gemacht hat. Das hat er gut hingebracht. In den zwei Jahren, in denen wir noch zusammen in der Firma waren, von 1990 bis zu seinem Tod 1992, hat er gesagt: Die Sache hier, das wirst du irgendwann mal ausbaden müssen, also entscheide du das. Wenn du wissen willst, wie ich es machen würde, dann sag ich dir das – aber du musst entscheiden.

Ende 2019 wurde aus den Klingele-Papierwerken die „Klingele Paper & Packaging Group“. Warum haben Sie das Unternehmen umbenannt?

Als mein Vater den Namen Klingele-Papierwerke gewählt hat, war er der Meinung, dass die Verarbeitung von Papier zu Wellpappe durch den Begriff Papierwerke gut beschrieben sei. Allerdings haben wir damals noch kein einziges Gramm Papier produziert, da hatten wir noch keine eigenen Papierfabriken. Das hat immer wieder zu Verwirrung geführt. Der Hauptgrund für die Umfirmierung ist aber, dass wir heute deutlich internationaler unterwegs sind. Wir haben Produktionsstandorte in zehn Ländern. Außerhalb Deutschlands versteht niemand das Wort „Papierwerke“. Daher die neue englische Bezeichnung, damit wir überall die gleiche Marke verwenden.

Der Stammsitz ist seit 1952 Grunbach. Wie kam Klingele ins Remstal?

Der Firmensitz war ursprünglich Wiesloch bei Heidelberg. Dort kommt auch die Familie Klingele ursprünglich her. Mein Großvater Alfred Klingele hat 1920 mit seinem Schwager Emil Holfelder die Badische Wellpapierfabrik Klingele & Holfelder gegründet. In den 30er Jahren wurde die Firma Bosch als Großkunde gewonnen. Die hatten einen dringenden Wunsch: Sie wollten auf Dauer keinen badischen, sondern einen schwäbischen Lieferanten. So kam es zum Aufbau des Werks in Grunbach. 1952 gingen die Familien Klingele und Holfelder dann eigene Wege.

Seitdem ist auch der Stammsitz in Remshalden gewachsen. Zuletzt hat Klingele ein neues Rohstofflager gebaut, das 2019 in Betrieb ging. Was ist mit Ihren weiteren Ausbauplänen?

Wir wollen unbedingt noch ein Fertigwarenlager bauen, um die Auslagerung in angemietete externe Lager und die damit verbundenen zahlreichen Lkw-Transporte zu vermeiden. Da arbeiten wir dran. Wir brauchen einen vorhabenbezogenen Bebauungsplan dafür.

Dazu müssen Sie die Gemeinderäte noch von Ihrem Vorhaben überzeugen.

In Diskussionen ging es bisher um die Höhe des Gebäudes, die die Gemeinderäte für verträglich halten. Wir sind gebeten worden, die Umweltverträglichkeit unseres Projektes noch besser zu verifizieren. Das werden wir dann dem Rat vorlegen. Ich bin guter Hoffnung, es gibt Signale, dass wir unter bestimmten Bedingungen mit einer Zustimmung rechnen können. Das Warenlager ist für uns zur Erhaltung des Standorts sehr wichtig.

Remshalden. Seit 100 Jahren stellt die Firma Klingele Verpackungen aus Wellpappe her, seit 1936 in Remshalden. Das Material hat Konjunktur, derzeit besonders durch den beispiellosen coronabedingten Ansturm auf den Lebensmittelhandel. Im Interview spricht der geschäftsführende Gesellschafter des Unternehmens, Dr. Jan Klingele, über die explodierende Nachfrage nach Wellpappe in Zeiten des Coronavirus, Wellpappe als Fundament von Fußballstadien und