Müll und Gassäcke: So soll man trotz Plastikverbot überleben - WELT

2021-12-02 07:13:58 By : Mr. Mike Wang

D er Hundebesitzer zieht einen Wandersack aus der Tasche, bückt sich und sammelt die Überreste seines schwarzen Labrador Dieter ein. „Die Tüten habe ich vom Recyclinghof, sie sind gut, sie vertragen viel“, sagt der Mann. Er muss nichts dafür bezahlen, seine Gemeinde Hamburg kauft die Hundekotbeutel und verteilt sie über verschiedene Stellen an die Hundebesitzer.

In Deutschland leben rund acht Millionen Hunde. Experten schätzen, dass etwa die Hälfte ihrer Herren den Hundekot in den Gassen mit einer Tüte aufräumt. Doch die kleine schwarze Plastiktüte – meist ein Penny-Produkt aus asiatischen Fabriken – hat es in sich. Der Plastikbeutel muss dem Gewicht des Haufens standhalten und gleichzeitig möglichst dünnwandig und kostengünstig herstellbar sein. Dennoch ist die Zukunft des Gassacks in seiner jetzigen Form ungewiss.

Wie andere Teile der Branche befinden sich Hersteller und Verkäufer von Müllbeuteln in einem Transformationsprozess. Denn in Zeiten von Plastikverboten geraten Müllsäcke unter Druck, Ersatz oder zumindest grüne Lösungen müssen gefunden werden.

Allein beim Marktführer in Deutschland und Österreich, der Sund-Gruppe aus Hamburg, werden jährlich rund fünf Milliarden Müllsäcke, Müllsäcke und Einweghandschuhe verkauft, eine Unmenge an gebrauchtem Plastik – wenn die Produkte entsorgt werden. Sie sind dann Teil des Berges von mehr als sechs Millionen Tonnen Plastikmüll jährlich in Deutschland.

Spätestens nachdem die Europäische Union Einweggeschirr oder Einwegbecher aus Kunststoff verboten hat, müssen sich Hersteller von Mülltüten auf Restriktionen einstellen und nach Alternativen suchen. Der Ressourcenverbrauch für den Nachschub ist nach wie vor enorm: Rund 50 Millionen Tonnen Plastik werden jährlich in EU-Ländern verarbeitet.

Damit die Gassibasche eine Überlebenschance hat, forscht das Familienunternehmen Sund Group an Varianten aus recyceltem Material. Nun soll in Münster, Freiburg und Hamburg ein Hundekotbeutel mit einem Recyclinganteil von 60 Prozent zum Einsatz kommen. „Wir wollen einen Anteil von 80 Prozent erreichen“, sagt Clemens Eichler, Geschäftsführer der Sund-Tochter Deiss. Dann könnte die Tasche das Umweltzeichen Blauer Engel tragen.

Bei künftigen Ausschreibungen der Kommunen erwartet der Manager, dass die Anbieter einen Recyclinganteil verlangen. Irgendwann könnte auch die EU-Kommission einen Anteil vorschreiben. Und weil es hierzulande noch keine Konkurrenz für den Gassack aus recyceltem Material gibt, setzt Geschäftsführer Eichler darauf, von öffentlichen und privaten Käufern mehr Geld dafür verlangen zu können. Schließlich sei die Tasche für Hundebesitzer „ein emotionales Thema“.

Als Material für den Recyclinganteil wird jedoch zunächst überwiegend Kunststoffgranulat aus Produktionsabfällen verwendet. Diese Industrieabfälle können sauber und einfach in den Maschinen verwertet werden. Das Ziel für den Hersteller Sund Group sind jedoch recycelte Plastikabfälle, zum Beispiel aus Mülltüten und Mülltüten selbst.

Bei gelegentlichen Engpässen ist der sogenannte recycelte Plastikmüll sogar teurer als neues Granulat aus Polyethylen. „Wir müssen unseren Hausmüll so aufbereiten, dass er die Anforderungen an das Recycling erfüllt“, sagt Eichler. Es gibt genug recyceltes Material auf dem Markt, aber nicht genug gutes Material. Die Verbesserung der Qualität von Kunststoffabfällen, beispielsweise im Rahmen der Sortierung, ist ein wesentlicher Schritt, um den Anteil von Kunststofffolien und Abfalltüten im Recycling zu erhöhen.

Für Walkie-Talkies hingegen kommt Recycling bisher kaum in Frage. Denn dieser Abfall landet im Restmüll und in den Verbrennungsanlagen der Entsorgungsunternehmen. „Diese Tüten dürfen nicht im Biomüll entsorgt werden, da sie aus hygienischen Gründen nicht kompostierbar sind. Sie müssen verbrannt werden“, sagt der 52-jährige Chemiker und Verfahrenstechniker Eichler. Das ist die gesetzliche Vorgabe.

Die Sund Group entwickelt die Taschen in Hamburg und lässt sie von einem Unternehmen in China produzieren. "Es gibt in Europa keine Fabriken für die Produktion solcher Massenmüllsäcke", sagt Eichler. Die Rohstoffpreise sind dort niedriger, ebenso die Arbeitskosten. Die Entwicklungsarbeit sowie die hohen Stückzahlen machen dieses Geschäft für das Familienunternehmen interessant. Im vergangenen Jahr hat das Unternehmen rund 55 Millionen Hundekotbeutel verkauft.

Verglichen mit den fünf Milliarden Müllsäcken und Einweghandschuhen, die die Sund-Gruppe jedes Jahr produziert, sind Hundekotbeutel nur ein Nischengeschäft. Das Unternehmen verkauft rund 5000 Artikel zur Entsorgung.

Von all diesen Produkten ist der VW Golf der „Bestseller“, wie er als Marke genannt wird, ein blauer Müllsack mit einem Absatz von rund 100 Millionen Stück pro Jahr. Die Weiterentwicklung geht in Richtung Materialeinsparung. Deshalb sind Müllbeutel oder Müllsäcke in den letzten zehn Jahren um rund 40 Prozent dünner geworden.

Diese Produktion hingegen findet nicht im fernen China statt, sondern sozusagen vor der Haustür in Niedersachsen. In Echte bei Göttingen übernimmt der Folienhersteller Rheinische Kunststoffwerke (RKW) diese Auftragsarbeit und produziert die Müllsäcke für die Sund Group.

Die Besichtigung vor Ort gleicht einer Reise in die Industriegeschichte, denn das Werk liegt über einem ehemaligen Eisenerzbergwerk im ehemaligen Zonengrenzbereich. Das Mauerwerk und die Stahlträger erinnern an die Gründung der Fabrik Ende der 1960er Jahre.

In der verschachtelten Struktur jedoch verwandeln Maschinen des digitalen Zeitalters bei 220 Grad Celsius tausende Tonnen Polyethylen-Granulat in kilometerlange Schlauchfolien. Wie ein riesiger Ballon schießt ein bis zu 15 Meter hoher Filmstrang aus dem gigantischen Apparat. Schneidemaschinen schneiden die Folie später in Müllsäcke.

Das Granulat stammt aus Industrieabfällen. Die Müllsäcke haben einen Rezyklatanteil von 90 Prozent. Ein Blick auf die riesige Lagerfläche vor der Fabrik zeigt, dass es sich um Folienschrott und Folienabfälle aus der Industrie und damit bisher ungenutztes Material handelt.

All das soll sich in den kommenden Jahren ändern. „Wenn wir unser Produkt nicht weiterentwickeln, wird es verschwinden“, sagt Martin Klostermann, Geschäftsführer der Sund-Gruppe. Ziel ist es, den Kohlendioxidausstoß in der Produktion zu reduzieren und den Abfallkreislauf durch Recycling zu schließen.

„Wie alle Einwegprodukte wird es die Müllbeutel als Einwegprodukt auf Dauer nicht geben, wenn wir sie nicht ständig wechseln“, sagt der 58-jährige Manager. Die Produkte müssen „Teil der Lösung und nicht des Problems werden“. In zehn Jahren wird der Müllsack anders aussehen als heute.

„Er wird dann mit einem hohen Anteil an recyceltem Material oder vielleicht aus nachwachsenden Rohstoffen wie Zuckerrohr oder Holzabfällen hergestellt“, sagt Klostermann, der seit zwei Jahrzehnten im Familienunternehmen und mittlerweile auch Gesellschafter ist.

Auch Umweltlobbyisten warnen vor Veränderungen. Vor dem Hintergrund der jüngsten Entscheidungen der EU-Kommission drängt die Zeit. Schließlich erhebt sie eine Steuer auf nicht recycelten Plastikmüll von 800 Euro pro Tonne.

„Das wird derzeit vom Staat und damit von jedem von uns getragen“, sagt Rolf Buschmann, Referent für Technischen Umweltschutz beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Das sind rund 16 Euro pro Kopf und Jahr. „Es wäre sinnvoll, Unternehmen damit zu belasten, damit sie ihre Produktion auf wiederverwendbares und recyceltes Material umstellen“, sagt Buschmann.

Auch zur Arbeit des mittelständischen Unternehmens äußert sich der Abfall- und Ressourcenexperte. „Was die Sund-Gruppe in ihrer Produktion tut, ist legitim. Aber es wäre ökologisch sinnvoll, Plastikabfälle, zum Beispiel aus dem Gelben Sack, zur Herstellung neuer Produkte zu verwenden“, sagt Buschmann.

Der Mülleimer im Meer, auf Englisch „Seabin“, ist eigentlich eine australische Erfindung. Damit weniger Plastikmüll in die Nordsee gelangt, wird er nun auch in Norddeutschland eingesetzt. Er schluckt Verpackungen, Kronkorken, Mikroplastik und sogar Öl.

Das allgemeine Ziel muss sein, dass mehr Rezyklat verwendet wird. „Dieses Material sollte jedoch aus Konsumplastikabfällen gewonnen werden und nicht aus Abfällen der industriellen Produktion“, sagt der Lobbyist. Plastikmüllsäcke sind derzeit ein notwendiges Utensil, wenn es beispielsweise um Müll im öffentlichen Raum geht. „Gerade hier ist es jedoch sinnvoll, ihn aus tatsächlich recyceltem Material herzustellen“, sagt Buschmann.

Ob auch dieses Produkt zu den sinnvollen Erfindungen gehört, bleibt abzuwarten. Das mittelständische Unternehmen aus Hamburg bietet je nach Jahreszeit unterschiedliche Düfte für die Müllsäcke zu Hause an. Im Winter sorgten Zimtaromen beim Befüllen oder Entleeren des Mülleimers für weihnachtliches Feeling. Vanille und Orange sind derzeit besonders beliebt.

"Alles auf Aktien - Academy" ist das Sommer-Special der täglichen Börsen-Aufnahme der WELT-Wirtschaftsredaktion. Ab 9. August täglich, jeden Morgen ab 5 Uhr Für Börsenkenner und Einsteiger. Abonniere den Podcast auf Spotify, Apple Podcast, Amazon Music und Deezer. Oder direkt per RSS-Feed.

Die WELT als ePaper: Die Gesamtausgabe steht Ihnen am Vorabend zur Verfügung – so sind Sie immer auf dem neuesten Stand. Weitere Informationen: http://epaper.welt.de

Der Kurzlink zu diesem Artikel lautet: https://www.welt.de/232990309